Der Atem als Kraftquelle
Im Folgenden wird die Kraft des Atems und deren Nutzen für das Lernen bzw. den Lernprozess näher betrachtet. Dies steht immer auch im Kontext von Achtsamkeit, die als zentraler Pfeiler gelingenden Lernens und damit des Lerncoachings betrachtet wird. Nur wenn wir wirklich bei uns ankommen, bewusst wahrnehmen, was körperlich und geistig in uns vorgeht und uns immer wieder Zeit für uns selbst nehmen, können wir auch die Flut der auf uns einströmenden Informationen und des Wissens nachhaltig verarbeiten und sinnvoll einordnen. Dies braucht eine stabile Basis, die heute oft fehlt, da wir unter ständigem Medieneinfluss stehen, ständig aktiv sind, immer im Austausch, immer „on“. Das zerrt an uns, oft ohne Unterlass, so dass schon Kinder völlig erschöpft sind. Ein gesunder und förderlicher Ausgleich fehlt häufig.
Kurzer Rückblick
Dem Atem kommt im Zusammenhang mit der Achtsamkeitspraxis eine zentrale Rolle zu. So haben wir während der Meditation meistens einen Gegenstand, auf den wir unsere Aufmerksamkeit richten. Das können die Geräusche sein oder auch die Berührung der Sitzunterlage oder verschiedene Körperbereiche. Häufig ist es aber einfach der Atem. Wir bündeln unsere Aufmerksamkeit und konzentrieren uns ganz auf diesen Gegenstand. Der Atem als Meditationsobjekt bietet sich aus verschiedenen Gründen an:
- Wir haben ihn immer dabei.
- Mit dem Atem können wir den Parasympathikus beeinflussen, den Teil des vegetativen Nervensystems, der für Ruhe und Entspannung Er wird deshalb auch als Ruhenerv oder Erholungsnerv bezeichnet.
Der zweite Punkt macht deutlich, warum der Atem im Zusammenhang mit Stressabbau eine wichtige Rolle spielt. Es ist deshalb sinnvoll, den Atem zu nutzen, um zum Beispiel vor Prüfungen Stress abzubauen und dadurch gelassen in die Prüfung gehen zu können. Dies kann durch einfache Atemübungen geschehen, die regelmäßig praktiziert werden, so dass sie uns vertraut und Teil unseres Alltags sind. Die regelmäßige Verankerung im eigenen Atem lässt uns insgesamt ruhiger und entspannter werden (Aktivierung des Parasympathikus, Abbau von Stresshormonen) und setzt dadurch positive Impulse in unserem Leben, körperliche wie psychische.
Die Atmung als Parameter für unsere Gefühlslage
Unsere Atmung kann ganz unterschiedlich in Erscheinung treten: von einer sehr flachen Atmung bis zu einer tiefen Bauchatmung ist alles möglich. Sie zeigt einerseits, wie körperlich aktiv wir sind, andererseits aber auch, wie es uns geht und wie unsere emotionale Verfassung ist. Eine tiefe Bauchatmung bedeutet, dass wir entspannt sind und der Körper und der Geist sich regenerieren. Babys und kleine Kinder atmen ganz selbstverständlich in den Bauch, sie müssen es nicht erst lernen. Oft verlieren wir im Laufe der Zeit unseren selbstverständlichen Zugang zur tiefen Bauchatmung, da unser hektischer Alltag wenige Momente der Ruhe und Entspannung für uns bereithält. Sind wir gestresst, haben wir Angst, sind aufgeregt, verärgert oder irgendwie aus der Balance geraten, atmen wir flach, stockend, kurz oder gepresst. Ist unser Zwerchfell dauerhaft verspannt, weil wir insgesamt angespannt sind, fällt uns die Bauchatmung zusehends schwerer. Dadurch können wir uns insgesamt schlechter entspannen, weil der Körper durch die dauerhaft flache Atmung das Signal bekommt, „in Gefahr zu sein“.
Das vegetative Nervensystem – Sympathikus und Parasympathikus
Auf Ebene des Nervensystems bedeutet das eine ständige Erregung. Das heißt, der Sympathikus „übernimmt das Ruder“. Dieser Teil des vegetativen Nervensystems sorgt dafür, dass der Organismus verstärkt körperliche und geistige Leistungen vollbringen kann: das Herz schlägt kräftiger und schneller, die Atemwege erweitern sich, die Darmtätigkeit wird gehemmt. Kurz: Der Sympathikus macht den Körper bereit für Kampf und Flucht. Dies sind durchaus wichtige Vorgänge, die dem menschlichen Überleben dienen. Allerdings nur, wenn danach auch wieder der Parasympathikus, der „Ruhenerv“, übernimmt. Nur so kann es nach einer körperlichen Erregung bzw. Anstrengung auch wieder zu einer Regeneration kommen, können körperliche Reserven aufgebaut, der Stoffwechsel angekurbelt, die Verdauung aktiviert und der Körper in einen entspannten Zustand gelangen.
Beide Teile des vegetativen Nervensystems sind entscheidend für einen funktionierenden Organismus, für körperliche und psychische Gesundheit. Wir benötigen die Aktivierung durch den Sympathikus genauso wie die Beruhigung durch den Parasympathikus. Genaueres zu diesem Thema kann in der vierteiligen Blog-Artikel-Serie zum Thema Stress nachgelesen werden.
Sympathikus, Parasympathikus und der Atem
Das vegetative Nervensystem gliedert sich wie bereits angesprochen in Sympathikus und Parasympathikus. Es wird auch als autonomes Nervensystem bezeichnet, das u.a. die Funktion der inneren Organe steuert. Der Name deutet darauf hin, dass dieser Teil des Nervensystems nicht unserer bewussten Kontrolle unterliegt, er arbeitet „autonom“. Trotzdem haben Forschungen gezeigt, dass wir das Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus mit unserer Atmung verbessern können.
Atmung und Herzschlag
Dies zeigt sich auch darin, dass sich durch tiefe und ruhige Atmung der Herzschlag beruhigt, was ein Anzeichen für parasympathische Aktivität ist, wobei grundsätzlich beim Einatmen der Sympathikus und beim Ausatmen der Parasympathikus aktiviert wird. Vereinfacht lässt sich festhalten: Durch bewusstes Atmen wird der Parasympathikus aktiviert (besonders durch das verlängerte Ausatmen), der Herzschlag beruhigt sich und der heute häufigen Dominanz des Sympathikus wird entgegengewirkt. Dadurch entsteht ein verbessertes Gleichgewicht – Stress wird reduziert.
Lernen – Atmung – Herzschlag
Grundsätzlich ist es für unsere Gesundheit förderlich, wenn wir die Signale unseres Körpers verstehen und dementsprechend reagieren können. In diesem Artikel beschränke ich mich auf die Atmung und den Herzschlag als wichtige Körpersignale. Das heißt jedoch nicht, dass andere Körpersignale weniger wichtig sind. Um Körpersignale zu verstehen, ist es zunächst notwendig, diese bewusst zu beobachten und vertraut mit ihnen zu werden. Die Beobachtung des Atems wird im Achtsamkeitstraining zu einem vertrauten Begleiter.
Erkennen Kinder und Jugendliche (und Erwachsene), dass sie in bestimmten Lernsituationen stockend oder flach atmen oder der Herzschlag unangenehm verstärkt ist, ist das ein Hinweis darauf, dass etwas nicht im Gleichgewicht ist, sie zum Beispiel sehr aufgeregt sind oder sogar Angst haben. Diese körperliche Verfassung eignet sich nicht, um erfolgreich und nachhaltig zu lernen. Wird dies bemerkt, kann dem bewusst entgegengewirkt werden, um wieder in einen ausbalancierten Zustand zu gelangen, der das Lernen unterstützt. Dies erfordert ein bisschen Übung, ist aber für jeden erlernbar – und führt zu mehr Wohlbefinden und Gelassenheit – nicht nur in der Schule.
Ich hoffe, ich habe Sie neugierig auf die Erforschung des eigenen Atems gemacht und wünsche Ihnen Geduld und gutes Gelingen bei den ersten Schritten.
Im nächsten Artikel geht es ergänzend um die Körperwahrnehmung allgemein, die im Kontext von Lernen und Achtsamkeit dargestellt wird.
Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute Zeit.
Herzliche Grüße
Inga Schulz