Liebe Leserinnen und liebe Leser,
ich freue mich sehr, dass Sie mir auch in diesem Monat wieder Ihr Vertrauen schenken und sich auf die Ideen, Impulse und Lerninhalte dieser Blogserie zum erfolgreichen und stressfreien Lernen mit mehr Leichtigkeit einlassen.
Das Thema Vertrauen liegt mir sehr am Herzen. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, wie sehr das Vorhandensein von Vertrauen und Selbstvertrauen mein Wohlbefinden steigert und mich dabei unterstützt, meine Ziele zu erreichen. Aber auch im Kontext meiner Arbeit, als Lehrerin und Lerncoach gleichermaßen, merke ich immer wieder, wie positiv sich Vertrauen und Selbstvertrauen auf das Lernen auswirken. Wenn es mir gelingt, vertrauensvolle Beziehungen zu schaffen – zwischen mir und meinen Schülerinnen und Schülern, aber auch in den Lerngruppen allgemein, ist die Basis für gelingendes Lernen gelegt.
Vertrauen – die Basis für unsere Potentialentfaltung
Vertrauen ist eine wichtige menschliche Fähigkeit und Ressource. Es ist gleichzeitig eine Haltung und ein Gefühl, das jeder von uns braucht, um im Laufe seines Lebens sein Potential entfalten zu können, förderliche Beziehungen zu führen, mit der Welt in Kontakt zu treten und zu lernen. Wir werden mit der Fähigkeit, Vertrauen zu entwickeln, geboren, das heißt, die Anlagen für dieses wichtige Gefühl, sind bereits netzwerkartig in unserem Gehirn vorhanden, aber wir entwickeln es erst in vollem Umfang nach unserer Geburt und dann unser Leben lang.
Der Grundstein für Vertrauen – Frühe Bindungen
Unsere frühen Bindungen und Beziehungen, die Erfahrungen, die wir mit anderen Menschen in den unterschiedlichsten Kontexten in unserem Leben machen, sorgen dafür, dass das Netzwerk im Gehirn, das für „Vertrauen“ zuständig ist, sich entwickelt und uns zur Verfügung steht. Die Vertrauensfähigkeit ist sehr verschieden, je nachdem, welche Erfahrungen wir als Kind in den ersten Jahren machen. Erleben wir eine behütete Kindheit, in der wir liebevolle und fürsorgliche Bezugspersonen haben, werden wir ein größeres Vertrauen entwickeln, als wenn unsere Bezugspersonen eher gleichgültig sind, beziehungsweise uns vernachlässigen oder sogar körperliche und/oder psychische Gewalt ausüben. Wir entwickeln dann weder ein gesundes Vertrauen in andere Menschen und die Welt, noch entwickeln wir ein starkes Selbstvertrauen, das uns die Sicherheit gibt, gemeinsam den Herausforderungen des Lebens gewachsen zu sein.
Vertrauen und Selbstvertrauen
Ich unterscheide einerseits zwischen Vertrauen, das einem von anderen Menschen geschenkt wird und Vertrauen, das ich schenken kann – meinen Eltern und Geschwistern, Lehrern und Freunden und auch den Lebensumständen oder dem Leben selbst und andererseits dem Selbstvertrauen, das heißt, dem Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen und dem Gefühl der Selbstwirksamkeit.
Vertrauen prägt Beziehungsfähigkeit
Die Vertrauensfähigkeit eines Menschen sagt viel darüber aus, wie er oder sie sich in einer Beziehung aufgehoben und angenommen fühlt. Vertraue ich anderen Menschen, bin ich offen und zugewandt und Beziehungen werden leichter. Natürlich ist manchmal auch Misstrauen angebracht, denn nicht jeder Mensch ist uns freundlich gesinnt und möchte uns deshalb unterstützen und zu unserem Wohlergehen beitragen. Das Gegenteil gibt es nun einmal auch.
Eine gesellschaftliche Herausforderung – Zu wenig Vertrauen
Gesellschaftlich oder sogar global betrachtet ist aber zu viel Vertrauen, Offenheit und Zugewandtheit nicht die Herausforderung unserer Zeit, sondern eher, dass die Menschen immer weniger vertrauen – sich selbst und anderen. Dadurch kommt es zu Isolation und Einsamkeit. Wir nehmen uns eine Kraft, die viel Positives bewirken kann, wenn wir sie zulassen (können). „Können“, weil es nicht so ist, dass wir einfach entscheiden können, dass wir ab jetzt sowohl uns selbst als auch anderen mehr vertrauen, sondern dies ist, wie oben bereits erwähnt, abhängig von frühkindlichen und späteren Prägungen, die uns zu dem Menschen gemacht haben, der wir jetzt sind. Das heißt, wir haben viele Erfahrungen mit Menschen und Situationen und mit unseren Reaktionen darauf gemacht und daraus resultiert unser gegenwärtiges Verhalten: Wir haben Selbstvertrauen oder wir haben es nicht, wir schenken anderen Menschen oder Situationen eher Vertrauen oder eben eher Misstrauen. Das ist auch situationsabhängig, aber oft gibt es eine grundsätzliche Tendenz, die das Verhalten eines Menschen dominiert. Die individuellen Ausprägungen sind sehr verschieden und es würde zu weit führen, die psychologischen Einflussfaktoren hier aufzugreifen, aber es ist wichtig, zu begreifen, dass es frühe Prägungen gibt, die „bestimmen“, ob jemand eher vertrauen kann oder nicht.
Kindliche Bedürfnisbefriedigung – Die Basis für Urvertrauen
Unser Selbstvertrauen und Vertrauen in andere wird in unserer frühen Kindheit maßgeblich davon beeinflusst, ob unsere Grundbedürfnisse nach Nahrung, körperlicher Versorgung und Nähe befriedigt werden und unsere Bezugspersonen uns liebevoll und mitfühlend zugewandt sind. Besonders prägend sind hier die ersten beiden Lebensjahre. Hier wird das sogenannte Urvertrauen gebildet. Kinder, die in dieser Zeit vernachlässigt wurden, deren Bedürfnisse nach körperlicher Nähe nicht berücksichtigt und die zum Beispiel oft schreiend in ihrem Bettchen liegen gelassen wurden, konnten kein Urvertrauen entwickeln und haben auch in ihrem späteren Leben Schwierigkeiten, förderliche, vertrauensvolle Beziehungen zu führen beziehungsweise ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln. Diese „verpasste“ Zeit, die sich sowohl auf die Gehirnstruktur als auch auf den Hormonhaushalt auswirkt, kann nicht mehr „nachgeholt“ werden.
Neuroplastizität – Vertrauen kann man lernen
Trotzdem ist es im späteren Leben möglich, positive Impulse zu setzen und auch die entsprechenden Netzwerke im Gehirn zu verändern (Neuroplastizität). Das kann einerseits durch positive Erfahrungen in Beziehungen gelingen, andererseits aber auch dadurch, dass ich mich bewusst dafür entscheide, zu vertrauen. Dafür kann ich mir in Situationen, in denen ich nicht vertrauen kann, immer wieder die Frage stellen, ob es einen rationalen Grund dafür gibt, diesem Menschen oder dieser Situation nicht zu vertrauen. Hat dieser Mensch in der Vergangenheit etwas getan, dass den Schluss zulässt, ihm oder ihr besser nicht zu vertrauen? Oder werde ich in der Einschätzung dieses Menschen von meinen frühkindlichen Prägungen bestimmt, die dazu geführt haben, dass ich kein wirkliches Vertrauen zu anderen Menschen bzw. kein Urvertrauen aufbauen konnte? Wenn ich dies bemerke, kann ich mich bewusst dafür entscheiden, mich diesem Menschen oder dieser Situation offen zuzuwenden. So gelingt eine Entwicklung in Richtung mehr Vertrauen – nicht von Jetzt auf Gleich, aber Schritt für Schritt.
Leben braucht Vertrauen – Lernen braucht Vertrauen
In diesem Artikel ging es bisher um das Vertrauen, das wir benötigen, um gute Beziehungen zu führen und uns auf das Leben einzulassen, unser Potential zu entfalten. Das ist Lernen – in einer offenen und weitgefassten Definition.
Schulisches Lernen
Oft ist es so, dass wir, wenn es ums Lernen geht, zuerst an das institutionelle Lernen in der Schule denken, dass sehr stark strukturiert und geprägt ist durch regelmäßige mündliche und schriftliche Abfragen, die dann Zeugnis darüber ablegen sollen, was der Betreffende gelernt oder eben nicht gelernt hat – ob er „gut“ ist oder „mangelhaft“ – mit allen weiteren Abstufungen.
Wir lernen von Anfang an und bis zu unserem Tod
Betrachten wir aber unser Gehirn und dessen Entwicklung, stellen wir sehr schnell fest, dass das zu kurz gegriffen ist: Schon im Mutterleib beginnt unser Gehirn zu lernen – und es hört erst auf, wenn wir gestorben sind. Die Schul- und Ausbildungszeit sind da nur ein kleines Zeitfenster, in dem wir beweisen, dass wir eine gesellschaftlich relevante Qualifikation erreichen können. Wir lernen permanent und entwickeln uns ständig weiter. Unser Gehirn verändert sich also laufend. Es war gestern ein anderes als es heute ist. Das ist der Lauf des Lebens. Das ist lebenslanges Lernen!
Menschen sind soziale Wesen. Wir Funktionieren als Spezies gut in der Gemeinschaft, aber wir „gehen ein“ ohne Zuwendung und sozialen Austausch. Besonders deutlich wird dies bei Kindern. Dazu gibt es eindrückliche und teils makabre Forschungsergebnisse.
Auch wenn es im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder Bewegungen gibt, die eine starke Ellenbogenmentalität propagieren, in der der Einzelne sein persönliches Fortkommen anstrebt, ohne nach rechts und links zu schauen, wissen wir heute, dass bessere Ergebnisse erreicht werden können, wenn wir kooperieren und uns als Teil der Gemeinschaft wahrnehmen. Wir bilden Netzwerke, die uns unterstützen und in denen wir andere unterstützen und wir arbeiten phasenweise mit anderen Netzwerken zusammen, um von einer vielfältigen Expertise profitieren zu können. Darin sind wir gut, weil auch unser Gehirn so funktioniert. Auch hier werden Netzwerke gebildet, die, je nach Aufgabe, unterschiedlich miteinander kooperieren. Es ist sogar möglich, dass Aufgaben von einer anderen Hirnregion als ursprünglich dafür vorgesehen übernommen werden, wenn es zum Beispiel zu Ausfällen kommt, die durch Krankheiten oder Unfälle verursacht werden.
Lernen braucht Beziehungen
Deshalb gilt auch für das Lernen, schulisches Lernen und persönliches Wachstum, das auch eine Form des Lernens ist, gleichermaßen, dass es nur angemessen und nachhaltig funktioniert, wenn wir uns in guten Beziehungen aufgehoben fühlen. Das heißt, wir brauchen andere Menschen, denen wir vertrauen: Einerseits brauchen wir sie, um positive Vorbilder zu haben, die uns mit ihrem „So-Sein“ und ihrem Handeln dazu motivieren, Dinge von ihnen zu übernehmen und so von ihnen zu lernen. Sie sind uns authentisch und freundlich zugewandt und vermitteln uns Inhaltliches, aber auch Verhalten, mit Offenheit und Leichtigkeit. Andererseits brauchen wir sie, um Vertrauen von ihnen entgegengebracht zu bekommen. Sie vermitteln uns damit das Gefühl, an unsere Fähigkeiten zu glauben, daran, dass wir Aufgaben allein und mit anderen zusammen lösen können. So stärken sie unser Selbstvertrauen und unterstützen uns dabei, unseren eigenen Weg zu gehen.
Lernen ohne Druck
In Beziehungen und Gemeinschaften, die auf Vertrauen und gegenseitige Unterstützung basieren, können wir als Menschen ohne (Leistungs-) Druck lernen und uns entfalten. Wir geben unser Bestes und können auch damit umgehen, wenn uns mal etwas nicht gelingt. Das ändert nichts an unserem Selbstvertrauen und an unserer positiven und vertrauensvollen Grundhaltung.
Positive Glaubenssätze – Bewusst förderliche Veränderungen herbeiführen
In der Formbarkeit unseres Gehirns liegt ein großes Potential, denn, was heute für mich wahr ist – zum Beispiel ein negativer Glaubenssatz über meine Kompetenzen und Fähigkeiten (Ich kann das nicht! Ich lerne das nie! Ich bin schlecht! Keiner mag mich!) – muss es morgen nicht mehr sein. Ich kann mich dafür entscheiden und daran arbeiten, freundlicher über mich selbst zu denken – und dann Schritt für Schritt Veränderungen in diese Richtung einleiten und mehr Selbstvertrauen entwickeln. Manchmal braucht es ein wenig Unterstützung, aber die Entscheidung darf und muss ich selbst treffen. Vielleicht ist es nötig, durch „ein Tal der Tränen“ zu gehen, bis die Bereitschaft da ist, Veränderungen einzuleiten. Kinder und Jugendliche brauchen hierbei die Unterstützung von Menschen, denen sie vertrauen können.
In Kürze
- Vertrauen ist ein Gefühl und eine Haltung;
- Potentialentfaltung gelingt nur mit Vertrauen in unsere Mitmenschen, die Welt und uns selbst;
- Wir brauchen vertrauensvolle Beziehungen, um erfolgreich zu lernen:
- In Beziehungen und Gemeinschaften, die auf Vertrauen und gegenseitige Unterstützung basieren, können wir als Menschen ohne (Leistungs-) Druck lernen und uns entfalten.
- Der neurologische und hormonelle Grundstein für Vertrauen wird in den ersten zwei Jahren durch unsere frühen Bindungen gelegt;
- Auch wenn die frühkindliche Prägung zu einer geringen Vertrauensfähigkeit geführt hat, ist es im späteren Leben möglich, Vertrauen zu lernen, denn unsere Erfahrungen prägen unsere Vertrauensfähigkeit ein Leben lang – schaffen wir Erfahrungen, die Vertrauen fördern, verändern wir unser Gehirn in diese Richtung (Neuroplastizität).
Zum Abschluss…
Jeder von Ihnen, auch Ihr Kind, steht an einem anderen Punkt in seinem Leben und hat ganz individuelle Bedürfnisse – aber wir alle brauchen förderliche Beziehungen, die von Vertrauen geprägt sind, um uns den Herausforderungen des Lebens immer wieder aufs Neue zu stellen und mit einer positiven Grundhaltung nach vorne zu blicken. Besonders dann, wenn unser Vertrauen verletzt wurde, ist es wichtig, diese Verletzung bewusst zu verarbeiten und sie als das zu sehen, was sie ist: eine Erfahrung in einer Beziehung, nichts, das in Zukunft grundsätzlich mein Handeln und meine Beziehungen bestimmen sollte.
Ich wünsche Ihnen und Ihrem Kind ein stabiles und unterstützendes Netzwerk, Menschen, denen Sie vertrauen und die Ihnen vertrauen – ganz besonders auch im Lernkontext. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, Ihr Netzwerk zu erweitern, um so die Unterstützung zu bekommen, die Sie und Ihr Kind benötigen. Ich freue mich, dass ich dazugehöre!
Herzliche Grüße
Inga Schulz