Achtsamkeit und MBSR – Forschungsergebnisse
Wie angekündigt möchte ich am Ende meiner kleinen Blog-Serie zum Thema „Gesunder Umgang mit Stress“ zu den Forschungsergebnissen im Zusammenhang mit Achtsamkeit und MBSR kommen. Ich möchte verständlich machen, was durch Meditation im Gehirn und im Körper passiert und warum sich das insgesamt positiv auf unser Wohlbefinden auswirkt. Der Artikel ist kein wissenschaftlicher Artikel und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich beziehe mich hauptsächlich auf die Forschungsergebnisse von Britta Hölzel sowie auf das Lehrbuch „Die Kunst, Achtsamkeit zu lehren“ von Christiane Wolf und Greg Serpa. Wer die einzelnen Studien prüfen möchte, findet hier Informationen.
Achtsamkeit hat in den letzten 20 Jahren einen regelrechten BOOM erfahren, was u.a. auf die Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit der Achtsamkeitspraxis zurückzuführen ist.
An dieser Stelle klären wir die Fragen:
- In welchen Bereichen treten konkret Veränderungen durch Meditation auf?
- Wie lässt sich das durch die Abläufe im Gehirn erklären?
Die Psychologin Britta Hölzel hat mit Kollegen anhand verschiedener Studien in der Psychologie und in den Neurowissenschaften ein Modell erarbeitet, das deutlich macht, dass Achtsamkeit wirkt, weil sie drei „eng interagierende Bereiche“ beeinflusst:
- Sie stärkt die Aufmerksamkeitsregulation.
- Sie verbessert die Emotionsregulation.
- Sie bewirkt Veränderungen im Selbsterleben.
„Diese Komponenten konstituieren gemeinsam einen Prozess verbesserter Selbstregulation, d.h., das Funktionieren der Vorgänge, mit denen Menschen ihr Erleben und Verhalten steuern, wird verbessert. (Hölzel, Britta: Mechanismen der Achtsamkeit. Psychologisch-neurowissenschaftliche Perspektiven. In: Achtsamkeit mitten im Leben. München: O.W. Barth, 2015)
Aufmerksamkeitsregulation
Meditation beginnt in den meisten Fällen mit einer Schulung der Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit wird dabei für längere Zeit auf ein Objekt gerichtet, zum Beispiel auf den Atem. Driftet der Geist währenddessen in Geschichten über die Vergangenheit („Vergangenheitsbewältigung“) oder die Zukunft (Planung) ab, wird er immer wieder zum Atem zurückgelenkt. Mit der Zeit vertieft sich die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten und so vom „Tagträumen“ bzw. Grübeln zu mehr Bewusstheit im gegenwärtigen Moment zu gelangen. Dadurch entsteht ein stärkerer Bezug zur Realität, da man sich nicht ständig in irgendwelchen imaginierten Geschichten verliert.
Die drei Aufmerksamkeitskomponenten
Es gibt drei verschiedene Arten der Aufmerksamkeit
- Vigilanz (Daueraufmerksamkeit)
- Selektive Aufmerksamkeit (Umorientierung)
- Exekutive Aufmerksamkeit (Lösen von Aufmerksamkeitskonflikten)
Vigilanz bedeutet, dass man in einer ausgedehnten Phase mit wenig Reizen auf diese angemessen reagiert, zum Beispiel bei einer langen Autofahrt, wenn zwischendurch das aktive Eingreifen des Fahrers erforderlich wird, das heißt, die Monotonie unterbrochen wird.
Selektive Aufmerksamkeit heißt, dass bei einer Vielzahl von Reizen eine Auswahl getroffen wird, auf die sich dann die Aufmerksamkeit richtet.
Die exekutive Aufmerksamkeit ist gefordert, wenn es ablenkende Reize gibt, so dass eine bewusste Entscheidung für einen Reiz erforderlich wird, während die anderen ausgeblendet werden. Alle drei Komponenten sind in verschiedenen Studien mit spezifischen Netzwerken im Gehirn in Verbindung gebracht worden.
Beeinflussung der drei Komponenten durch Achtsamkeit
Einige Studien weisen darauf hin, dass es zu Beginn des Achtsamkeitstrainings zu einer Verbesserung der selektiven und der exekutiven Aufmerksamkeit kommt, längeres Training verbessert hingegen die Vigilanz, das heißt die langandauernde Aufmerksamkeit.
„Diese Befunde erscheinen auch einleuchtend, wenn man sich vor Augen führt, welche Fähigkeiten in der Meditationspraxis gestärkt werden: Die exekutive Aufmerksamkeit wird z.B. während der Atemachtsamkeit gestärkt (…), wenn die Aufmerksamkeit – obwohl der Übende dauernd von inneren Impulsen abgelenkt zu werden droht – stetig bei der Atemempfindung gehalten wird. Die selektive Aufmerksamkeit kommt zum Beispiel beim Bodyscan zum Tragen, wenn die Aufmerksamkeit durch den Körper geführt wird und Empfindungen in einem bestimmten Bereich des Körpers für einen Moment zum Hinspüren ausgewählt werden. Diese beiden Komponenten werden schon früh im Praxisverlauf gestärkt. Erst mit größerer Erfahrung kommt es zu einer Erhöhung der Vigilanz, wenn der Fokus bereits für längere Phasen konstant beim Aufmerksamkeitsobjekt gehalten werden kann.“ (Hölzel, Britta: Mechanismen der Achtsamkeit. Psychologisch-neurowissenschaftliche Perspektiven. In: Achtsamkeit mitten im Leben. München: O.W. Barth, 2015)
Aufmerksamkeitsregulation – Zuständige Hirnregionen
Die Hirnregion, die in den verschiedenen Studien am häufigsten mit der verbesserten Aufmerksamkeitsregulation in Verbindung gebracht wird, ist der anteriore cinguläre Kortex (ACC). Die exekutive Aufmerksamkeit wird durch den ACC ermöglicht, indem dieser Aufmerksamkeitskonflikte (Wirken verschiedener Reize) entdeckt und diese löst. Bei mehreren Reizen werden zum Beispiel einige ausgeblendet, um sich auf einen einzigen konzentrieren zu können (Hölzel, 2015). In Studien konnte man feststellen, dass der ACC bei Meditierenden aktiver ist als bei nicht Meditierenden, wenn sie im Kernspintomographen eine Achtsamkeitsmeditation durchführten. Außerdem wurde im Bereich des ACC eine Verdickung der grauen Substanz (hier liegen u.a. die Nervenzellkörper) gefunden sowie eine stärkere Ausprägung der Verbindungsfasern (Verbindung der verschiedenen Hirnregionen, vgl. ebd.). Dies ist ein Hinweis auf die Neuroplastizität unseres Gehirns. Das heißt allgemein, dass Veränderungen im Gehirn stattfinden, die in unseren Erfahrungen begründet liegen (mentale Gewohnheiten, Verhaltensweisen, psychische Verletzungen), hier der Erfahrung der Achtsamkeitspraxis (vgl. Wolf, Christiane, Serpa, Greg, Die Kunst, Achtsamkeit zu lehren, 2016).
Weitere Studien deuten darauf hin, dass aufeinanderfolgende Reize bei Menschen mit Meditationspraxis effektiver verarbeitet werden, wobei das Gehirn dieser Menschen weniger Ressourcen für die Verarbeitung des ersten Reizes bereitstellen muss. So kann ein folgender Reiz leichter verarbeitet werden.
Verbesserte Emotionsregulation
Ein förderlicher Umgang mit unseren Emotionen ist entscheidend für unsere psychische Gesundheit. Wenn wir uns jedes Mal von unseren auftauchenden Emotionen mitreißen lassen, kann das psychisch und körperlich sehr belastend sein, wodurch oft negative Gefühlszustände entstehen. Intensive emotionale Reaktionen können außerdem dazu führen, dass die Leistungen in anderen, davon unabhängigen Bereichen, abnehmen, weil wir zum Beispiel ermüden und unsere Konzentration abnimmt.
Es ist also durchaus hilfreich und sinnvoll, wenn wir unsere Emotionen regulieren können.
Meditierende können sich auch bei starken emotionalen Reizen eher fokussieren und ablenkende Reize ausblenden. Das heißt nicht, dass Emotionen unterdrückt werden, sondern dass ein bewusster Umgang möglich ist.
In einem Bild gesprochen: Wir sitzen an einem Fluss und halten die Füße ins Wasser (das Wasser und seine Strömung stehen für die emotionalen Reize). Je weiter wir die Füße ins Wasser halten, desto eher ist es möglich, von der Strömung, den starken Emotionen, mitgerissen zu werden. Es ist gut, die Emotionen zu spüren (die Füße im Wasser), aber es ist nicht nötig, sich mitreißen zu lassen und dabei die Orientierung zu verlieren (dann sind wir auch mit dem Kopf unter Wasser).
Meditation führt also einerseits dazu, dass emotionale Reize eher ausgeblendet werden können, andererseits gehen einige Forscher aber auch davon aus, dass stressauslösende Reize bei Meditierenden eher als Herausforderung gesehen werden und nicht als niederschmetternder Schicksalsschlag (Umdeutung). Sie können ihres Erachtens nach also am Ende etwas Gutes bringen.
Emotionsregulation – Angesprochene Hirnregionen
Im Zusammenhang mit der Emotionsregulation gibt es zwei Hirnregionen, die besonders hervortreten. Die Amygdala und der präfrontale Kortex. Die Amygdala, auch Mandelkern, ist paarig angelegt und Teil des limbischen Systems. Zusammen mit dem Hippocampus ist sie an der Regelung von Emotionen beteiligt, besonders auch wenn Angst und Wutauftreten. Der präfrontale Kortex ist Teil des Frontallappens der Großhirnrinde. Er ist u.a. für die Planung von Handlungen zuständig (Exekutivfunktion) und prägt somit auch unsere Persönlichkeit.
Es gibt zahlreiche Studien zur Wechselwirkung dieser beiden Hirnregionen in Zusammenhang mit der Achtsamkeitspraxis. An dieser Stelle möchte ich die Zusammenhänge vereinfacht darstellen: Die Amygdala ist aktiv, wenn wir starke emotionale Reize erleben. Der präfrontale Kortex wirkt hier als Gegenspieler bzw. Regulator, das heißt, dass durch sein Wirken, die Aktivität der Amygdala gehemmt wird, zumindest zu Beginn der Achtsamkeitspraxis.
„Die Amygdala und der präfrontale Kortex waren negativ miteinander gekoppelt – wenn z.B. die Aktivität im präfrontalen Kortex stieg, nahm sie in der Amygdala ab. Dies wird damit erklärt, dass dabei der präfrontale Kortex die Amygdala, die sonst auf emotionale Reize reagiert und die entsprechenden Reaktionen im Körper veranlasst, herunterreguliert. (…) Dennoch nahm die Aktivierung der Amygdala insgesamt ab, was auf eine verminderte emotionale Reaktivität schließen lässt.“ (Hölzel, Britta: Mechanismen der Achtsamkeit. Psychologisch-neurowissenschaftliche Perspektiven. In: Achtsamkeit mitten im Leben. München: O.W. Barth, 2015)
Positive Veränderungen im Selbsterleben
Durch Achtsamkeitsmeditation findet eine stärkere Verankerung im Körper und damit im körperlichen Selbsterleben statt. Die Gehirnregion, die hierbei eine zentrale Rolle spielt, ist das Default Mode Network (Ruhezustandsnetzwerk). Dieses Netzwerk ist aktiv, wenn unser Geist im Ruhemodus ist und wir keiner bestimmten Aufgabe nachgehen. Der Geist wandert umher (Mindwandering) und erzählt Geschichten über uns selbst und andere (Vergangenheitsbewältigung oder Zukunftsplanung). Das führt dazu, dass wir in Grübeleien geraten, die um uns selbst kreisen und dadurch häufig zu einem negativen Selbstbild führen, was u.a. zu Depressionen führen kann. Achtsamkeit unterbricht diesen Mechanismus, indem sie uns zurück zur Realität bringt und das Gedankenkreisen beendet.
Der DMN ist bei erfahrenen Meditierenden deutlich weniger aktiv als bei nicht Meditierenden, was darauf hindeutet, dass Meditierende weniger mit selbstbezogenem „Gedankenkreisen“ beschäftigt sind.
Symptomverbesserung und Verbesserung biologischer Marker
Die gestärkte Aufmerksamkeitsregulation, die verbesserte Emotionsregulation und die Veränderungen im Selbsterleben tragen zu mehr Wohlbefinden bei und insgesamt zu einer verbesserten Selbstregulation. Das hat für sich genommen einen großen Wert und bestätigt die förderliche Wirkung der Achtsamkeitspraxis. An dieser Stelle möchte ich aber noch etwas weitergehen und dazu kommen, was dadurch nicht nur im Gehirn, sondern auch im Körper, also auf Ebene der körperlichen Symptome und der biologischen Marker passiert. Ich stütze mich hier auf die Zusammenfassung der Studien von Christiane Wolf und Greg Serpa in ihrem Lehrbuch „Die Kunst, Achtsamkeit zu lehren“ von 2016. Wer sein Wissen in diesem Bereich noch vertiefen möchte, findet hier Hinweise zu den verschiedenen Studien sowie Quellen.
Symptomverbesserung
Achtsamkeitsübungen haben einen positiven Effekt auf Angststörungen und Depressionen, aber auch auf Schmerzen. Auch chronische und lebensbedrohliche Krankheiten können mit Achtsamkeitsinterventionen besser bewältigt werden. In diesem Zusammenhang kommt es zu einem Absinken des Stressniveaus und zu einer Verbesserung der Lebensqualität. Aber auch im Bereich der Herz-Kreislauf-Symptome können Achtsamkeitsinterventionen zu einer Verbesserung beitragen. Bei Menschen ohne klinische Symptomatik zeigt sich, dass sich Stress und Grübeleien reduzieren, Ängstlichkeit abnimmt, während Mitgefühl (auch Selbstmitgefühl) zunimmt.
Verbesserung biologischer Marker
Kortisol:
Durch Achtsamkeitspraxis kommt es zu einem Absinken des Stresshormons Kortisol, was darin begründet liegt, dass das Stressniveau insgesamt sinkt (Beeinflussung der Amygdala). Ist der Kortisolwert im Blut dauerhaft hoch, kommt es zu chronischen Stressreaktionen wie zum Beispiel Schlafstörungen, Herzerkrankungen, herabgesetzter Immunfunktion, Bluthochdruck und Fettleibigkeit.
Immunreaktion bei Grippeimpfung:
In Studien zur Grippeimpfung wurde festgestellt, dass Meditierende eine stärkere Immunreaktion aufzeigten, was unter anderem mit der verstärkten Aktivierung des linken anterioren Frontallappens des Gehirns in Verbindung gebracht wird. Die „Verlagerung“ der Hirnaktivität in diesen Bereich führt zu positiver Stimmung und scheint daran beteiligt, dass es zu einer besseren Immunreaktion kommt.
Epigenetik:
Die Epigenetik ist ein Fachgebiet der Biologie, das sich damit befasst, welche Einflussfaktoren dazu führen, dass Gene aktiv sind oder nicht und somit die Entwicklung der Zelle bestimmen. Heute weiß man, dass Gene aufgrund unseres Verhaltens und der Umweltbedingungen „an- oder abgeschaltet“ werden können. Gerade Gene, die entzündliche Prozesse im Körper in Gang setzen und damit zu schwerwiegenden Erkrankungen beitragen können, sind in der Forschung von großem Interesse. In einer Studie von Creswell und Kollegen wurde unter anderem festgestellt, dass nach einem 8-Wochen-Meditationskurs bei den Probanden im Vergleich zur Kontrollgruppe messbare epigenetische Veränderungen nachzuweisen waren. Wenn wir eine Verbindung zum ersten Teil des Artikels herstellen, können wir davon ausgehen, dass die verschiedenen Faktoren, die zur verbesserten Selbstregulation Meditierender führen, ausschlaggebend dafür sind, dass sich das Verhalten des Einzelnen so gravierend ändert, dass sich sogar das Genom(Gesamtheit des Erbguts) verändert.
Telomere und Zellalterung
Wer bis jetzt noch nicht von den positiven Effekten der Achtsamkeitsmeditation überzeugt ist, den überzeugt vielleicht der letzte Punkt, der Einfluss auf die Telomere und damit auf die Zellalterung. Auch wenn hier noch zahlreiche Studien nötig sind, so sind die ersten Ergebnisse vielversprechend. Telomere sind eine Art Schutzkappen auf den Enden der Chromosomen, auf denen unsere Gene liegen. So schützen sie diese vor dem Alterungsprozess. Stress und Grübeln erzeugen hingegen ein Milieu, das die Telomere kürzer werden lässt. Da Achtsamkeit das Stressniveau sinken lässt, kann sich dies positiv auf die Länge der Telomere auswirken – und damit auf den Alterungsprozess der Zellen.
Wir dürfen hier also gespannt sein auf weitere Forschungsergebnisse.
Herzliche Grüße und eine schöne Zeit
Inga Schulz