Förderlicher Umgang mit Lernstress
Liebe Leserinnen und Leser,
herzlich willkommen zum ersten Artikel meiner neuen Blog-Serie nach der kleinen Einführung im Juni. Ich freue mich, dass es jetzt endlich losgeht, und ich hier vor meinem Rechner und einem „weißen Blatt“ sitze, um diesen Artikel zu schreiben – und Ihnen zu zeigen, dass „Lernen mit Leichtigkeit“ auch für Sie und Ihr Kind möglich ist – und wie es gelingen kann.
Falls Sie noch nicht sicher sind, ob dieser und die folgenden Artikel für Sie und Ihr Anliegen interessant bzw. relevant sind, hoffe ich, Ihnen heute die entscheidenden Argumente zu bieten, die Sie davon überzeugen, dranzubleiben und mich in diesem Jahr einmal im Monat zu begleiten.
Die Themen, die ich in den nächsten zwölf Monaten hier aufgreife, sind für jeden geeignet, der sich näher mit dem Lernen befassen möchte. Entweder, um andere, wie die eigenen Kinder oder Schülerinnen und Schüler, besser unterstützen zu können oder, um das eigene Lernen zu verbessern und so seine Lernziele leichter zu erreichen.
Es geht hier weniger um eine wissenschaftliche Herangehensweise als darum, konkrete Tipps und Hintergrundwissen anzubieten, das leicht verständlich und umsetzbar ist. Es soll in Ihren oft hektischen Alltag passen und keine stundenlange Auseinandersetzung mit den einzelnen Aspekten erfordern. Mit Leichtigkeit lernen! – das ist das Motto – auch für Sie.
Ich spreche hier vorwiegend Eltern und Kinder bzw. Jugendliche an, aber auch andere Lernende – und Lehrende – sind herzlich eingeladen, sich mit auf die „Reise“ zu begeben.
Lernen als Herausforderung
Für die Menschen, die zu mir kommen, und sich Unterstützung wünschen, ist das Lernen zu diesem Zeitpunkt eine Herausforderung, die sie allein nicht mehr bewältigen können und wollen. Als ich LERNLAND 2018 eröffnet habe, waren die Hauptthemen mangelnde Motivation, Konzentrationsschwierigkeiten, fehlende Selbstorganisation und Lernstruktur und gelegentlich auch verstärkter Lernstress (Blackouts, Lernblockaden). Diese Aspekte haben sich bei den Kindern und Jugendlichen in mehr oder weniger „schlechten“ Noten gezeigt, was zu persönlichen und familiären Belastungen geführt hat. Allerdings bleibt festzuhalten: Die Kinder und Jugendlichen waren in vielen Fällen damals noch recht gelassen und, wenn die Versetzung nicht gefährdet war, konnten sie mit ihrem „schlechten“ Notenbild ganz gut leben.
In der Pandemiezeit hat sich dies meiner Beobachtungen nach geändert. Es sind deutlich mehr Lernende zu mir gekommen, die zwar ordentliche Noten hatten, aber einen sehr starken Lernstress empfunden haben, der zu psychischen und körperlichen Symptomen geführt hat.
Lerncoaching ist keine Therapie
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen: Lerncoaching und Stressbewältigung durch Achtsamkeit sind effektive Möglichkeiten, um positive Veränderungen im Lernkontext herbeizuführen, handelt es sich aber um ernsthafte psychische Probleme, müssen Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten herangezogen werden. Dann kann beides nach einer Stabilisierungsphase auch sehr gut parallel stattfinden.
Die richtige Expertin oder der richtige Experte
Sollten Sie also das Gefühl haben, dass mehr hinter den momentanen Lernschwierigkeiten Ihres Kindes steckt, lassen Sie dies bitte zunächst abklären, um die richtige Hilfe an der richtigen Stelle nutzen zu können. Ich weiß, dass es für Eltern oft schwierig ist, dies zu entscheiden, denn Sie wissen natürlich auch: Weder Verharmlosung noch Dramatisierung bringen Sie und Ihr Kind weiter und sind förderlich für die Entwicklung Ihres Kindes und den Familienalltag. Hier heißt es, genau hinzuschauen und sich dann für den entsprechenden Experten oder die Expertin zu entscheiden. Als eine erste Anlaufstelle kann bei Unsicherheiten die Schulpsychologin oder der Schulpsychologe dienen. Hier kann mit professioneller Unterstützung entschieden werden, was die nächsten Schritte sein können.
Hier zum Einstieg noch einmal die häufigsten Lernschwierigkeiten auf einen Blick:
- Lernstress (Blackouts/Lernblockaden)
- Fehlende Selbstorganisation;
- Lernstruktur;
- Mangelnde Motivation;
- Konzentrationsschwierigkeiten;
Die ersten drei Artikel dieser Blog-Serie nutze ich, um diese Aspekte kurz vorzustellen und zu klären, was ich damit meine und was meiner Ansicht nach die Basis für ein Verständnis ist, das positive Veränderungen ermöglicht. Obwohl sie hier zunächst jeder für sich stehen, wird im weiteren Verlauf deutlich, dass sie sich wechselseitig beeinflussen und eine klare Trennung nicht möglich ist. Das heißt, dass positive Veränderungen in einem Bereich sich auch in den anderen Bereichen auswirken.
Ich beginne mit dem Thema Stress bzw. Lernstress, weil dies, wie Sie wissen, einer meiner Schwerpunkte ist. Der förderliche Umgang mit äußeren und inneren Herausforderungen, die als Stressauslöser wirken, ist, meiner Ansicht nach, die Basis für Ausgeglichenheit und Wohlbefinden im Allgemeinen und deshalb auch für gelingendes Lernen.
Lernstress
Um zu verstehen, was Lernstress bedeutet, ist es nötig, zu wissen, was bei Stress in unserem Körper passiert. Das Thema Stress ist sehr umfassend, deshalb werden ich an dieser Stelle nur so weit darauf eingehen, dass Sie nachvollziehen können, warum verstärkter Lern- und Alltagsstress nachhaltiges Lernen verhindert und es nötig ist, auf förderliche Weise mit Stress umzugehen, um erfolgreich zu lernen. Falls Sie mehr zu diesem Thema wissen möchten, können Sie die vierteilige Serie zum Thema Stress hier in meinem Blog lesen.
Stress ist wichtig!
Stress ist nicht grundsätzlich negativ, im Gegenteil. Evolutionsgeschichtlich hat die sogenannte Stressreaktion das menschliche Überleben gesichert und dafür gesorgt, dass wir als Spezies nicht gleich wieder von der Bildfläche verschwunden, also ausgestorben, sind.
Stress ist ein biologischer Mechanismus (Kampf-Flucht-Mechanismus), der in Gefahrensituationen die nötigen körperlichen Abläufe aktiviert und die erforderliche Energie bereitstellt, um schnell und angemessen zu reagieren und damit das Überleben zu sichern.
Die moderne Gesellschaft und ihre Herausforderungen
Durch die Stressreaktion im Körper wird demnach eine schnelle Anpassung an Belastungen und Herausforderungen gewährleistet. Eine geniale Fähigkeit unseres Körpers, um mit den Anforderungen und Risiken des täglichen Lebens umzugehen – oder nicht? Grundsätzlich ist das absolut richtig, trotzdem gibt es ein „Aber“: Die moderne Gesellschaft bietet eine Vielzahl an Reizen, die als Stressauslöser wirken können. Allerdings gibt es gleichzeitig kaum noch die Möglichkeit, die durch die Stressreaktion bereitgestellte Energie zu verbrauchen – wir müssen ja in den meisten Situationen glücklicherweise weder kämpfen noch flüchten, um angemessen zu reagieren. Das bedeutet, dass die Stresshormone Adrenalin und Cortisol länger im Körper bleiben bzw. es sogar zu einer dauerhaften Erhöhung dieser Hormone kommt, was weitreichende gesundheitliche Konsequenzen auf körperlicher und psychischer Ebene haben kann.
Lernen unter Stress
Was bedeutet das jetzt für das Lernen? Erstmal ist es wichtig, zu erkennen, dass vieles, das im Kontext Lernen und im Alltag geschieht, für Kinder, Jugendliche und Familien als Stressauslöser (Stressreiz) wirken kann und dadurch wohlmöglich eine Stressreaktion ausgelöst wird. Dabei können harmlose Stressreize wie zum Beispiel eine bevorstehende Abfrage eine heftige Stressreaktion im Körper hervorrufen. Tritt dies vermehr auf, kann es zu einer dauerhaften Belastung werden und zu Symptomen wie Kopf- und Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Unausgeglichenheit, depressiven Verstimmungen und Aggressivität führen.
Wenig Ruhe – Viel Druck
Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, sind oftmals die ganze Woche „durchgetaktet“. Es gibt kaum Momente der Ruhe oder der positiven Langeweile, weil zu den zahlreichen „Freizeitterminen“ auch noch die ständige Erreichbarkeit und die dauernde Präsenz digitaler Medien kommen, womit permanente Informationen und Reize verbunden sind, die kaum noch adäquat verarbeitet werden können (auch für die Konzentrationsfähigkeit relevant). Kinder und Jugendliche sind durch Schule, Freizeitaktivitäten und soziale Medien außerdem ständigen Vergleichen, Bewertungen und Beurteilungen ausgesetzt bzw. vergleichen und bewerten sich selbst, was – je nach Persönlichkeit – zu einem enormen Leistungsdruck führen kann.
Vielfältige Stressauslöser
Jeder und jede sollte deshalb, gegebenenfalls mit professioneller Unterstützung, für sich klären, welche Situation im (Lern-) Alltag immer wieder zu einer Stressreaktion führen bzw. als Stressauslöser wirken. Dies können auch Beziehungen zu Lehrern, Mitschülern und Eltern und Geschwistern sein. Gibt es zum Beispiel immer wieder massive Konflikte mit Freunden, Klassenkameraden oder Lehrern, kann dies zu einer Dauerbelastung (Dauerstress) werden, die langfristig zu besagten körperlichen und psychischen Symptomen führt bzw. sich negativ auf die Motivation und Konzentrationsfähigkeit auswirkt und es als Folge zu einem erheblichen Leistungsabfall kommt.
Aber auch bevor es zu diesen nachhaltigen Konsequenzen kommt, gibt es etwas, dass jeder wissen sollte: Stress verhindert das Denken und damit das Abrufen von Wissen.
Stress und Gehirn
Die Stresshormone wirken wie ein Balken, der sich zwischen die einzelnen Nervenzellen im Gehirn (Neuronen) und deren Verbindungsstücke (Synapsen) legt und dadurch verhindert, dass die elektrischen Impulse zwischen den einzelnen Nervenzellen weitergeleitet werden, was für das Abrufen von Wissen und Gelerntem entscheidend ist.
Sinnvolles Erbe
Evolutionsgeschichtlich macht dieser Mechanismus auch Sinn, denn langes Überlegen in Gefahrensituationen, zum Beispiel beim Angriff des berühmten Säbelzahntigers, hätte uns zu einer leichten Beute gemacht. Hier war es nötig, gleich zu reagieren und deshalb alle Denkprozesse weitgehend auszuschalten – Kampf oder Flucht waren die Möglichkeiten zwischen denen blitzschnell entschieden werden musste. Unser Gehirn ist optimal dafür ausgestattet und die zuständigen Netzwerke greifen reibungslos ineinander.
Überreaktion bei harmlosen Stressauslösern
Diese optimierte Stressreaktion hilft uns aber bei den oftmals harmlosen Stressreizen in der modernen Gesellschaft nicht weiter. Um im Lernkontext zu bleiben: Es ist nicht hilfreich, bei einer Klassenarbeit, einem Test oder einer mündlichen Abfrage in der Schule in den Kampf- oder Fluchtmodus zu geraten, so dass das Denken und Lernen erheblich erschwert bzw. verhindert werden.
Erste Schritte bei Lernstress
Deshalb ist es wichtig, die Stressauslöser zu kennen und auch zu wissen, was im eigenen Körper und im Geist dadurch ausgelöst wird, um dann frühzeitig darauf reagieren zu können und damit die Stressreaktion im Körper „abzumildern“. Eine förderliche Reaktion auf Stressreize führt dazu, dass weniger Stresshormone ausgeschüttet werden bzw. diese schneller wieder abgebaut werden. Dadurch kommen Körper und Geist wieder ins Gleichgewicht, was zu mehr Wohlbefinden und Ausgeglichenheit – nicht nur im Lernkontext – führt.
In Kürze
- Die Stressreaktion im Körper wirkt auch im Gehirn.
- Vermehrter Stress verhindert nachhaltiges Lernen, weil elektrische Impulse im Gehirn nicht mehr weitergeleitet werden (Stresshormone).
- Zu viele Stresshormone im Körper wirken sich langfristig negativ auf die körperliche und geistige Gesundheit aus (Kopf- und Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten etc.).
- Erster Schritt bei der Stressreduktion: Stressauslöser bewusst machen!
- Eine förderliche Reaktion auf Stress und Stressauslöser kann man lernen.
Herzliche Grüße und eine gute Zeit
Inga Schulz
PS: Der nächste Artikel wird Mitte August veröffentlicht.