Blackouts überwinden –
Ängsten und Stress begegnen
Immer mehr Kinder und Jugendliche, aber auch erwachsene Lerner, machen die Erfahrung, in einer Prüfungssituation, bei Präsentationen oder Abfragen zu blockieren und scheinbar keinen Zugriff mehr auf das Gelernte zu haben. Der Kopf ist leer, oft versagt die Stimme, das Herz rast und Schweiß bricht aus. Sie erleben ein sogenanntes Blackout. Von den Betroffenen wird dies oft als traumatische Situation wahrgenommen, sie fühlen sich bloßgestellt und als Versager. Wird diese Situation einmal erlebt, ist es wahrscheinlich, dass es in ähnlichen Situationen wieder zu einem Blackout kommt, weil die Betroffenen Ängste entwickeln und erwarten, dass sie es wahrscheinlich wieder nicht schaffen. Lernen wird dadurch mehr und mehr zu etwas Angsteinflößendem und oft ziehen sich die Betroffenen immer mehr zurück. Dies ist auch mit erheblichen sozialen Einbußen verbunden, was sehr belastend sein kann.
Doch was passiert im Körper, wenn es zu einem Blackout kommt?
Und was kann ich tun, um beim nächsten Mal entspannt zu bleiben und ein Blackout zu vermeiden?
Stressreaktion und Blackout
Viele Lernende setzen sich unter enormen Leistungsdruck, der durch das soziale Umfeld – Klassenkameraden, Geschwister, Eltern, Lehrer usw. – häufig noch verstärkt wird. Kommen sie nun in eine Prüfungssituation oder eine Situation, in der sie meinen, etwas leisten zu müssen, erleben sie Stress und es kommt im Körper zu einer Stressreaktion, dem sogenannten Kampf-Flucht-Mechanismus. Dieser Mechanismus hat uns entwicklungsgeschichtlich das Überleben gesichert, wird aber heute auch in Situationen aktiviert, die nicht lebensbedrohlich sind, in denen es also weder zu einem Kampf noch zur Flucht kommt. Die Abläufe im Körper sind aber identisch, was problematische Folgen, in diesem Fall für das Lernen, hat.
Stressreaktion – Was im Körper passiert
Die Stressreaktion geschieht unbewusst, automatisch und blitzschnell. Sie dient der Energiebereitstellung, die für eine schnelle Reaktion in Gefahrensituationen nötig ist. Der Sympathikus, der Teil des vegetativen Nervensystems, der für die Aktivierung zuständig ist, wird erregt, die Hormone Cortisol und Adrenalin werden ausgeschüttet, das Blickfeld verengt sich, Puls und Blutdruck gehen in die Höhe.
Stand in der Steinzeit zum Beispiel ein wildes Tier vor uns, konnten wir sofort reagieren und entweder fliehen oder mit dem wilden Tier kämpfen. So konnte die durch die Stressreaktion bereitgestellte Energie verbraucht werden und der Mensch konnte sich nach diesem Ereignis körperlich und psychisch vollständig erholen. Dies ist natürlich eine vereinfachte und ideale Darstellung der Stressreaktion. Heute läuft es aber gerade auch in Lernsituationen ganz anders: Es besteht kaum die Möglichkeit, die bereitgestellte Energie und damit das Adrenalin und Cortisol zu verbrauchen. Weder Kampf noch Flucht sind in Prüfungssituationen angesagt, so dass sich der Stress mit der Zeit summiert. Das hat körperliche und psychische Konsequenzen. Auf das Lernen bezogen bedeutet es, dass Adrenalin und Cortisol das Weiterleiten der elektrischen Impulse im Gehirn blockieren, so dass der Zugriff auf Erlerntes erschwert oder verhindert wird. Auch das Erinnerungsvermögen wird durch dauerhaften Stress beeinträchtigt, so dass oft stundenlang gelernt wird, aber letztendlich nichts hängen bleibt.
Was ist also in vermeintlich stressigen Lernsituationen zu tun? Wie kann ich erreichen, dass ich ruhig bleibe und die Stressreaktion nicht automatisch abläuft?
Den Stress bemerken
Der erste Schritt ist entscheidend: Es ist wichtig, die ersten körperlichen und mentalen Anzeichen zu bemerken, die darauf hindeuten, dass mich eine Situation stresst. Was passiert in meinem Körper und in meinem Geist? Wie fühlt sich das an? Welche Gedanken tauchen auf? Vielleicht verkrampft sich mein Bauch, ich bekomme Kopfschmerzen, mir wird heiß oder kalt oder ich fange an, zu zittern. Eventuell mache ich mich auch immer wieder selbst gedanklich runter, was die Situation zusätzlich erschwert. Wenn es eine geplante Prüfungssituation ist, ist es möglich, diese Anzeichen schon Wochen vor der eigentlichen Situation zu bemerken. Das gibt Betroffenen die Chance, sich Schritt für Schritt auf den „Ernstfall“ vorzubereiten. Mit Ruhe und Gelassenheit – und manchmal auch Unterstützung durch andere.
Aber auch in ungeplanten Prüfungssituationen, bei Abfragen und spontanen Wortbeiträgen, gibt es die Möglichkeit, Körper und Geist zu beruhigen und so die Stressreaktion zu stoppen – und dadurch weiterhin auf das Gelernte zugreifen zu können, ohne Blackout. Gelingt dies einmal, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es auch beim nächsten Mal klappt. Unser Gehirn lernt aus Erfahrungen – auch im Positiven!
Wichtig ist, sich den eigenen Ängsten zu stellen. Denn nur, wenn sie uns bewusst sind, haben wir auch die Möglichkeit, sie zu beruhigen. Dies ist auch neurowissenschaftlich gut belegt:
Die Amygdala ist ein Bereich im Gehirn, der an der Gefühlsbildung beteiligt ist. Auch Ängste entstehen hier. Wenn wir uns ganz in den Strudel der Angst ziehen lassen, bleibt dieser Bereich aktiv und unsere Angst beherrscht uns. Gelingt es aber, die Angst bewusst wahrzunehmen, also einen Schritt zurückzutreten, wird ein anderer Bereich unseres Gehirns aktiv – der präfrontale Kortex. Dieser Bereich ist u.a. für das Bewusstsein zuständig, für bewusstes Denken und Handeln. Wird diese Hirnregion aktiviert, wird die Dominanz der Amygdala abgeschwächt, so dass, vereinfacht dargestellt, Angst und Stress abnehmen – und damit auch weniger Stresshormone ausgeschüttet werden. Aber wie funktioniert das genau?
Körper und Geist aktiv beruhigen
Grundsätzlich ist es wichtig, nicht nur in Prüfungsphasen immer auch Dinge zu tun, die einem Spaß machen und einen wirklich begeistern. Dadurch werden „Glückshormone“ wie Dopamin und Serotonin freigesetzt, die sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken und auch für Herausforderungen stärken.
Bewegung baut Stresshormone ab, was in der Vorbereitung auf eine Prüfung sehr hilfreich ist, während der Prüfung aber eben nicht herangezogen werden kann.
Auch ist es unterstützend, sich mental vorzubereiten: Einerseits können die Erfolge der Vergangenheit betrachtet werden, mögen sie auch noch so klein erscheinen. Das lenkt den Fokus auf das Positive und verstärkt dieses auch auf neuronaler Ebene. Andererseits kann konkret mit den Befürchtungen gearbeitet werden, um diese in ein anderes Licht zu rücken und ihnen die „Schärfe“ zu nehmen. Hierbei kann es hilfreich sein, sich Unterstützung zu suchen.
Das wirkungsvollste Hilfsmittel bei akutem Stress auch in Lernsituationen ist unser Atem.
Ein großer Vorteil: Diesen haben wir immer dabei – und wir können ihn bewusst einsetzen. Dafür brauchen wir keine Vorkenntnisse oder Materialien, wir können gleich damit beginnen.
Unser Atem als Mittel zur Stressbewältigung
Sind wir in einer Stresssituation atmen wir oft flach und die Luft strömt eher in den Brustraum und nicht bis in den Bauchraum. Das ist die sogenannte Brustatmung, die dem Körper zusätzlich signalisiert, dass etwas nicht in Ordnung ist. Das heißt, der Sympathikus wird weiterhin angeregt und damit Stresshormone ausgeschüttet. Die einzige Möglichkeit, den Sympathikus bewusst und sofort zu beruhigen und damit seinen Gegenspieler, den Parasympathikus zu aktivieren, ist, den Fokus auf den Atem zu richten. Das heißt, bewusst tief bis in den Bauchraum zu atmen (Bauchatmung) und mit der Aufmerksamkeit ganz beim Atem zu sein. Dadurch beruhigen sich Atem und Herzschlag, die Ausschüttung der Hormone Adrenalin und Cortisol wird gebremst und der Abbau dieser Hormone beginnt. Dies ermöglicht es dem Gehirn dann auch, die nötigen elektrischen Impulse neuronal weiterzuleiten, so dass Gelerntes abgerufen werden kann.
Eine Übung für den Anfang
Da wir in Stresssituationen, die letztendlich auch zu einem Blackout führen können, die „Verbindung“ zu unserem Körper und zu unserer Atmung zu „verlieren“ scheinen und wir das Gefühl haben, neben uns zu stehen, ist es nötig, diese Verbindung wieder herzustellen. Es ist wichtig, den eigenen Körper und die eigene Atmung zu spüren. Dies können wir während des Tages so oft wie möglich wiederholen – im Stehen, Sitzen oder Liegen, mit geöffneten oder geschlossenen Augen, unter Menschen oder wenn wir alleine sind.
Zum Beispiel mit Hilfe einer kurzen Achtsamkeitsübung: Den rechten Fuß ganz bewusst spüren, den linken Fuß spüren und dann einen tiefen Atemzug nehmen. Die Übung kann weniger als eine Minute dauern und beliebig ausgedehnt werden. Sie eignet sich gerade auch für Situationen, in denen wir bemerken, dass unsere individuellen Stressreaktionsmuster aktiviert werden. Sie ermöglicht uns mit etwas Übung, ruhig zu bleiben und aus der „Stressspirale“ auszusteigen.
Viel Freude beim Ausprobieren!
Herzliche Grüße
Inga Schulz