Gehirn und Emotionen
In den letzten Monaten habe ich einige interessante und inspirierende Bücher gelesen. In meinen Blogartikeln finden sich immer auch Hinweise auf diese Bücher. Heute möchte ich die Gelegenheit nutzen, um auf ein Buch hinzuweisen, das mich besonders angesprochen hat. Ich lege es Ihnen und euch ans Herz, da es Aufschluss darüber gibt, warum wir so fühlen, wie wir fühlen und welche Gehirnstrukturen damit zusammenhängen.
Gehirn, Emotionen und Achtsamkeit
Dieses Verständnis ist auch hilfreich im Zusammenhang mit der Achtsamkeitspraxis. Denn einerseits zeigen uns die Ergebnisse anhand von messbaren Veränderungen der Gehirnstruktur, warum bzw. wie diese „wirkt“, andererseits aber auch, was wir konkret tun können, um unser Denken und unsere Emotionen positiv zu beeinflussen – und damit ebenfalls unsere Gehirnstruktur und damit unser Leben zu verändern.
Die Autoren
„Warum regst du dich so auf – Wie die Gehirnstruktur unsere Emotionen bestimmt“ wurde von Richard Davidson, einem weltweit führenden Neurowissenschaftler, in Zusammenarbeit mit der Wissenschaftsjournalistin Sharon Begley geschrieben.
Der emotionale Stil und seine sechs Dimensionen
Richard Davidson beschreibt das System der emotionalen Stile, das sechs Dimensionen umfasst:
- Resilienz
- Grundeinstellung
- Soziale Intuition
- Selbstwahrnehmung
- Kontextsensibilität
- Aufmerksamkeit
Diese sechs Dimensionen entscheiden in ihrer individuellen Ausprägung darüber, wie wir mit uns selbst und anderen umgehen und wie wir unser Leben gestalten, zum Beispiel unser Arbeitsumfeld und unsere Liebesbeziehungen.
Die sechs Dimensionen und ihre zugehörigen Hirnstrukturen
Der entscheidende Aspekt dieser Dimensionen ist, dass es sich dabei nicht einfach um Persönlichkeitsmerkmale handelt, die mehr oder weniger klar zugeordnet werden können (jemand ist z.B. schüchtern oder aufgeschlossen), sondern dass sich diesen Dimensionen aufgrund jahrzehntelanger Forschung eindeutig die dafür zuständigen Bereichen im Gehirn zuordnen lassen. Daher sind sie mit den heutigen bildgebenden Verfahren gut messbar. So kann deshalb auch festgestellt werden, wie Verhalten (z.B. regelmäßige Meditation) diese Strukturen beeinflusst und nachhaltig verändert.
„Jede der Dimensionen stellt ein Kontinuum dar: Manche rangieren mit ihren Reaktionen am einen oder anderen Extrem des Spektrums, andere liegen irgendwo in der Mitte der Skala. Die Kombination der jeweiligen Position innerhalb aller sechs Dimensionen ergibt in der Summe den persönlichen emotionalen Stil: (…)
Jeder Mensch trägt Elemente aus allen sechs Dimensionen in sich. Sie sind wie die Zutaten eines Rezepts, aus denen unser persönlicher emotionaler Stil zusammengebraut ist. (…)
Aus der Vielzahl der möglichen Kombinationen ergeben sich unzählige emotionale Stile. Jeder Mensch ist eben einzigartig.“ (ebd., S. 29-31)
Entstehung des emotionalen Stils
Der emotionale Stil eines Menschen ergibt sich aus einem komplexen Zusammenspiel von Genen und Kindheitserfahrungen – und ist, wie Forschungen der letzten Jahre belegen, auch im Erwachsenenalter nicht unveränderlich und statisch. Auch das erwachsene Gehirn hat „die Fähigkeit, seine Strukturen und Aktivitätsmuster signifikant zu verändern“(ebd., S. 253). Diese Fähigkeit des menschlichen Gehirns nennt sich Neuroplastizität und bleibt lebenslang erhalten. Veränderungen auf Ebene der Gehirnstrukturen können sich aufgrund von Erfahrungen einstellen, aber eben auch aufgrund geistiger Aktivität (ebd.).
„Die revolutionären Entdeckungen im Zusammenhang mit der Neuroplastizität haben also gezeigt, dass sich das Gehirn aus zweierlei Gründen verändern kann. Ein Umbau auf der neuronalen Ebene lässt sich zum einen durch unsere Lebensweise erreichen: durch die Art, wie wir uns bewegen und verhalten und welche sensorischen Signale unseren Kortex erreichen. Und zum anderen können rein geistige Prozesse von der Meditation bis hin zur kognitiven Verhaltenstherapie eine solche Reorganisation bewirken, in deren Verlauf es zu vermehrter oder verminderter Aktivität in spezifischen neuronalen Schaltkreisen kommt.“ (ebd., S. 276)
Chancen und Möglichkeiten
Die Fähigkeit der Neuroplastizität im Zusammenhang mit der Entdeckung des emotionalen Stils mit den sechs Dimensionen stellt eine große Chance für jeden einzelnen von uns dar und macht Hoffnung, denn es zeigt, dass wir jederzeit in der Lage sind, uns zu verändern.
Wichtig ist: Wir können entscheiden, ob wir uns verändern möchten, wir sind nicht dazu gezwungen. Und: Es soll an dieser Stelle nicht der Eindruck entstehen, dass das „mal eben nebenher“ geschehen kann. Für einige Veränderungen benötigen wir sicherlich professionelle Unterstützung und es ist ein langer Prozess. Aber manche emotionalen Stile sind eben weniger förderlich als andere und führen dazu, dass wir uns selbst im Wege stehen oder wirken sogar zerstörerisch, so dass es ratsam ist, daran zu arbeiten, um positive Veränderungen einzuleiten.
Jeder hat die Möglichkeit, zu entscheiden, welche Veränderungen auf Ebene der emotionalen Stile hilfreich und förderlich für das eigene Leben sind und wie diese am besten herbeigeführt werden können.
Denn es geht nicht darum, alle Menschen auf einem bestimmten Level der Skala einzupendeln. Unsere Verschiedenheit ist die Basis eines gelungenen Miteinanders – sie inspiriert und sorgt dafür, dass wir uns als Individuen und als Gesellschaft weiterentwickeln.
Vielfalt ist wünschenswert und sogar notwendig – und trotzdem ist es beruhigend, dass man eine pessimistische Grundeinstellung nicht einfach hinnehmen muss, sondern dass man lernen kann, das Glas manchmal als halb voll und manchmal als halb leer zu betrachten.
„Natürlich ist das Drehen an diesen Stellschrauben nicht unbegrenzt möglich. Wir wissen nicht, wie weit die Formbarkeit des Gehirns tatsächlich reicht, und ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Sie – beispielsweise in Ihrer Grundeinstellung – von einem Extrem zum anderen gelangen und eine Wandlung vom Pessimisten zum unverbesserlichen Optimisten vollziehen werden. Trotzdem bin ich überzeugt, dass sich bestimmte Aspekte, wie ich sie in den Fragebögen in Kapitel 3 beschrieben habe, in beiden Richtungen verschieben lassen.“ (ebd., S. 349).
Informativ und lesenswert
„Warum regst du dich so auf?“ vermittelt anhand fundierter Forschungsergebnisse, wie ein förderlicher Umgang mit den eigenen Gefühlen gelingen kann. Der Zusammenhang zwischen Hirnstrukturen und Emotionen wird nachvollziehbar und dabei ohne wissenschaftliche Überheblichkeit dargestellt, so dass der Lesende sich jederzeit angesprochen und mitgenommen fühlt.
Richard Davidson gelingt es, seine eigenen wissenschaftlichen Erfolge und Niederlagen sehr lebendig darzustellen und den Leserinnen und Lesern die Entwicklungen der Neurowissenschaften in den letzten über 30 Jahren nahe zu bringen. Auch das Kapitel zum Thema Achtsamkeit und Meditation ist aufschlussreich und unterstützt die persönliche Weiterentwicklung in diesem Bereich.
Vielen Dank für dieses Buch, Richard Davidson und Sharon Begley!
Herzliche Grüße
Inga Schulz
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