Ziele – Die unterschiedlichen Perspektiven von Eltern und Kindern verstehen
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
auch in diesem neunten Artikel der Blog- Serie „Erfolgreiches Lernen – stressfrei und mit Leichtigkeit“,geht es mit den unterschiedlichen Zielen von Eltern und Kindern um einen Aspekt, der – wird er angemessen gewürdigt – entscheidend dazu beitragen kann, dass das alltägliche Miteinander und das schulische Lernen besser gelingen. Mir geht es dabei in erster Linie darum, das Verständnis füreinander und für die unterschiedlichen Ziele zu verbessern, und weniger darum, den perfekten Zielfokus zu erreichen, denn Streit und Disharmonie zu Hause rauben unsere Energie, stören das Familienleben und sind auch für erfolgreiches und nachhaltiges Lernen kontraproduktiv – da helfen uns auch keine wohlformulierten (Lern-) Ziele.
Um das Thema „Ziele“ besser zu verstehen, ist die ehrliche Beantwortung folgender Fragen hilfreich:
- Was sind meine Ziele für mein Kind? Was wünsche ich mir?
- Was sind die Ziele meines Kindes?
- Welches vielleicht auch unbewusste Ziel steckt hinter einer Handlung?
- Wie können wir respektvoll über diese Ziele sprechen und einen förderlichen Umgang damit finden?
- Und wie können verschiedene Ziele gleichberechtigt nebeneinander existieren – und auch erreicht werden?
Tipps und Anregungen zu diesen Fragen finden Sie in diesem Artikel. Falls Sie darüber hinaus mehr wissen möchten, melden Sie sich gerne bei mir.
Themenüberblick der Blog-Serie
Wer sich noch einmal über die Themen der Serie informieren möchte, findet im Einführungsartikel einen Überblick: https://www.lernland-coaching.de/2023/06/12/blog-serie-erfolgreiches-lernen-stressfrei-und-mit-leichtigkeit/.
Lebensnahe Ziele motivieren
Wir wissen aus dem Bereich der Motivationsforschung, dass es wichtig ist, sich Ziele zu setzen, um motiviert zu sein und die Motivation längerfristig aufrechtzuerhalten – das gilt im schulischen genauso wie im privaten Bereich. Falls Sie die wichtigen Punkte noch einmal nachlesen möchten, lesen Sie gerne den 4. Artikel dieser Blog-Serie zu den Themen Motivation und Konzentration. Dort finden Sie unter anderem den Hinweis, dass es entscheidend ist, dass die gesteckten Ziele etwas mit der Lebenswelt des Lernenden zu tun haben, um ihn auf emotionaler Ebene anzusprechen und so in Richtung dieser Ziele zu „ziehen“. Nur wenn ich weiß, in welche Richtung ich gehen möchte, was mein Ziel ist, und mir dieses Ziel etwas bedeutet, kann ich alles Nötige dafür aufbringen, um dieses Ziel auch zu erreichen.
Konflikte zwischen Eltern und Kindern entstehen häufig, weil die gesteckten Ziele nicht übereinstimmen – Eltern haben eben oft andere Ziele für ihre Kinder als diese für sich selbst. So ist es ein erheblicher Unterschied, sich Anerkennung in seinem Freundeskreis zu wünschen (Ziel des Kindes), als mit der Note in der nächsten Klassenarbeit eine gute Zeugnisnote zu ermöglichen (Elternziel).
Das bedeutet, dass zur Erreichung dieser sehr verschiedenen Ziele auch ganz unterschiedliche Maßnahmen erforderlich sind. Das heißt, der Lebensalltag gestaltet sich entsprechend anders, wenn ich den Fokus darauf richte, Anerkennung in meinem Freundeskreis zu erlangen als mich mit vollem Einsatz auf eine Klassenarbeit vorzubereiten.
Ziele und Entwicklung
Sowohl die Ziele der Eltern als auch die der Kinder sind nachvollziehbar – und zwar auch auf Ebene der altersentsprechenden Abläufe im Gehirn. Verstehen wir dies, kann es gelingen, die Ziele mit den damit verbundenen Handlungen und Aktivitäten zu „normalisieren“ und ihnen daraufhin mit mehr Gelassenheit zu begegnen. Auch wenn das für Sie als Eltern herausfordernd ist – besonders wenn in den kommenden Wochen einige Klassenarbeiten anstehen und sie auch sonst jede Menge um die Ohren haben. Aber auch – und das sollten Sie nicht vergessen – ihr Kind hat viel um die Ohren, im Kopf und im Körper.
Bewusste und unbewusste Ziele
Ich spreche hier sehr allgemein von Ziele und ich werfe bewusste und eher unbewusste Ziele in einen Topf, weil Kinder und Jugendliche sich nicht hinsetzen und sagen: „Mein wichtigstes Ziel ist es, Anerkennung in meinem Freundeskreis zu erlangen und dazu zu gehören.“ Die geballte Energie läuft zwar in diese Richtung (zocken, chatten, Partys, Wahl der Kleidung etc.), aber es gab im Vorfeld keine bewusste Entscheidung, vielleicht ein Brainstorming und eine Festlegung der nächsten Schritte, um dieses Ziel dann zu erreichen. Wir werden später noch sehen, dass es reicht, ein Mensch zu sein, um diese Prioritäten zu setzen.
Die Pubertät – Keine Zeit zum Lernen!
Grundsätzlich ist die Pubertät nicht die geeignete Phase für schulisches Lernen. Auf körperlicher und geistiger Ebene kommt es zu massiven Veränderungen, die die Jugendlichen in Anspruch nehmen und wenig Raum für anderes lassen. Die Abnabelung von den Eltern ist ein zusätzlicher Aspekt, der die Kommunikation und das Miteinander erschwert, was sich besonders auch auf Gespräche über die Schule oder das Lernen auswirkt. Viele Jugendliche haben ein starkes Bedürfnis, sich abzugrenzen und der Rat der Eltern ist häufig weniger gefragt als der der Freunde, wo sie sich Anerkennung und Zugehörigkeit wünschen. Das ist für Eltern nicht immer ganz leicht. Besonders dann nicht, wenn die Ausbrüche und Abgrenzungsversuche respektlos und grenzüberschreitend sind. Hier ist es wichtig, immer wieder einen Schritt zurückzutreten, etwas Abstand zu gewinnen und die Dinge nicht persönlich zu nehmen. Es ist absolut menschlich, dass dies passiert, weil es Abwehr auslöst, wenn man derart respektlos von seinen Kindern angegangen wird. Aber es ist wichtig, sich immer wieder zu beruhigen und miteinander im Gespräch zu bleiben – respektvoll und auf Augenhöhe. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das nicht immer einfach ist! In einem der Folgeartikel werde ich deshalb ein paar Möglichkeiten aufzeigen, wie dies gelingen kann, ohne die eigenen Bedürfnisse zu verleugnen.
Abitur, Familienalltag und Gespräche
Unsere Jungs sind 20 und 16 Jahre alt. Der jüngere geht in die elfte Klasse und unser „Großer“ hat im Sommer 2023 sein Abitur gemacht – auf eine recht entspannte Art und Weise, würden mein Mann und ich sagen. Das hat uns manchmal ganz schön Nerven gekostet und über weite Strecken fehlte bei uns zu Hause ein wenig die Harmonie, weil besonders mein Mann unter der eher unverbindlichen Art des Lernens und der Abiturvorbereitungen gelitten hat. Er hat unseren Sohn in dieser Hinsicht als „ziellos“ empfunden und meinte, ihm fehlte der nötige „Biss“. Hier „ticken“ die beiden recht unterschiedlich. Ich konnte hier auch die positive Seite dieser Herangehensweise sehen, weil unser Sohn entspannt war und er und seine Freunde gutgelaunt durch diese immer wieder herausfordernde Zeit des Abiturs gekommen sind. Ich weiß aus meiner Arbeit als Lerncoach, dass das nicht die Regel ist und viele Abiturienten, besonders Mädchen, gestresst und demzufolge mit einigen körperlichen und psychischen Symptomen zu kämpfen haben. Manchmal ist das wirklich besorgniserregend! Deshalb kann ich an dieser Stelle sagen: Ich bin dankbar für die Gelassenheit unseres Sohnes. Da mein Mann mir zwar grundsätzlich zustimmt, aber eben auch seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse hat, war diese Zeit für uns als Familie kein Selbstläufer.
Lösungen sind immer möglich
Wir haben schließlich, nach vielen Gesprächen und jeder Menge konkreter Vorschläge, die mehr als einmal wutschnaubend kommentiert wurden, einen guten Mittelweg gefunden, mit dem wir uns alle anfreunden konnten. Unsere Vorstellungen (Ziele) für unseren Sohn was Zeit und Intensität des Lernens betrifft konnten wir nicht durchsetzen – und das ist auch gut so! Jugendliche und junge Erwachsene müssen eigene Entscheidungen treffen und dann die Konsequenzen tragen, wir sind lediglich Begleiter, die mit ihnen ins Gespräch kommen dürfen und zusätzliche Argumente einbringen können.
Dieses „Ins-Gespräch-Kommen“ hat in unserem Fall dazu geführt, dass unser Sohn sich – nach einigem Zögern – auch auf unsere Argumente und Wünsche eingelassen hat, er hat uns zugehört, weil er gemerkt hat, dass auch wir ihn hören und uns letztendlich nur wichtig ist, dass es ihm mit seinen Entscheidungen gut geht. Für ihn war es, denke ich, wichtig, zu erkennen, dass er mit seinen Entscheidungen Ziele verfolgt, Prioritäten setzt und daraus eben Konsequenzen resultieren, die von sehr angenehm bis sehr unangenehm reichen können. Wir wissen selbst nur zu gut, dass man die Dinge manchmal einfach zu Ende denken muss, um halbwegs zu wissen, was diese oder jene Entscheidung bedeuten kann. Meistens kommt es dann ja trotzdem ganz anders!
Bei jungen Menschen sind die Netzwerke für rationale Entscheidungen im Gehirn noch nicht so ausgeprägt wie zwanzig oder dreißig Jahre später – zumindest in den meisten Fällen – und sie gehen häufig ein größeres Risiko ein. Nicht umsonst sind die Vorschriften für junge Autofahrer deutlich strenger als für erfahrene. Deshalb ist es nicht nur im Lernkontext wichtig, andere Perspektiven und Argumente einzubringen – nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Nur so kann es gelingen, Kompromisse zu erzielen.
Prioritäten unserer Kinder
Da meine Schulzeit bzw. Kindheit und Jugend ja schon eine ganze Weile her sind und es auch mir gelegentlich schwerfällt, mich in der Welt meiner Kinder einzufinden, habe ich unsere Jungs vor einiger Zeit gefragt, was ihnen in den letzten Jahren besonders wichtig war und ist und was sie meinen, was uns als Eltern besonders wichtig ist.
Das ist uns Kindern wichtig!
Beide haben wie aus einem Mund gesagt, dass für sie ihre Freunde am wichtigsten sind. Zeit mit ihnen zu verbringen, chillen, Party machen, gemeinsam Fußball oder Basketball spielen. Bei Mädchen höre ich öfter, dass die beste Freundin eine große Rolle spielt und dass es als sehr belastend empfunden wird, wenn es hier Konflikte oder Zurückweisungen gibt. Dass ist nachvollziehbar, denn wir sind soziale Wesen, die Bindungen zu anderen Menschen brauchen, um Sicherheit und Wohlbefinden empfinden zu können. Das liegt auch an unserem evolutionären Erbe: Wir können nach unserer Geburt nur überleben, wenn unsere Bedürfnisse nach Bindung und Nahrung von anderen Menschen befriedigt werden. Werden sie dies nicht, sterben wir bzw. verlieren das Vertrauen in andere Menschen und uns selbst (Vgl. die letzten beiden Blogartikel). Auch unser steinzeitliches Erbe spielt hier eine Rolle: Wir haben gelernt, uns an die Gruppe anzupassen und einen wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten, um nicht ausgestoßen zu werden. Dies war überlebenswichtig, denn ohne die Gruppe konnte ein Mensch nicht überleben. Dass Freundschaften und Gruppenzugehörigkeit für unsere Kinder so wichtig sind, ist deshalb auch aus genetischer Perspektive nachvollziehbar. Für Kinder und Jugendliche ist es häufig zu abstrakt, wenn wir versuchen, ihnen deutlich zu machen, dass sie auch weiterhin Teil ihrer Gemeinschaft sind, auch wenn sie jetzt mal eine Woche „durchlernen“ und nicht zu jedem anberaumten oder spontanen Treffen gehen. Sie möchten ihre Freundschaften pflegen, weil ihnen das ein hohes Maß an Sicherheit vermittelt. Es ist wichtig, dass wir dies als Eltern respektieren und unterstützen. Auch hier lassen sich Kompromisse finden.
Auch Hobbies spielen für unsere Jungs eine große Rolle. Dies steht oft in Zusammenhang mit dem Thema Freundschaften, aber es kommen weitere Komponenten hinzu: sich mit anderen messen, an die eigenen körperlichen Grenzen gehen, Anerkennung aufgrund der sportlichen Leistungen bekommen, den eigenen Idolen nacheifern – und sicher noch einiges mehr.
Ja, und dann kommen auch noch die weniger aktiven Freizeitbeschäftigungen hinzu, diejenigen, mit denen wir als Eltern oft hadern: Chillen (mit Chips, Schokolade und Gummibärchen, Ergänzung von mir), Lieblingsserie schauen, Zocken (am liebsten mit Freunden) und, das ergänze ich noch, Schlafen am Nachmittag. Fast alles Dinge, die wir nachvollziehen können, die aber in unserem elterlichen Alltag einen deutlich geringeren Anteil einnehmen oder, wie das „Zocken“ bei mir, auch gar nicht vorkommen. Wir machen es uns aber zu einfach, wenn wir diese Beschäftigungen verurteilen und mit erhobenem Zeigefinger die „Verlotterung“ der Jugend ausrufen. Damit erreichen wir nicht bzw. sogar das Gegenteil von dem, das wir erreichen möchten – und wir werden diesen Aktivitäten und Gewohnheiten auch nicht gerecht. Es lohnt sich, etwas genauer hinzuschauen, um zu verstehen, welche Bedürfnisse hinter diesen Beschäftigungen stehen.
Elternwünsche aus Sicht der Kinder
Was ist uns als Eltern aus Sicht der Kinder wichtig? Unsere Jungs haben dies augenzwinkernd auf eine kurze Formel gebracht: gute Noten, wenig Partys und im Haushalt helfen. Natürlich ist beiden bewusst, dass die Formel nicht ganz so einfach ist, aber ich kann ihr Empfinden nachvollziehen, denn hier gab es bei uns in der Vergangenheit die häufigsten Konflikte. Dass sie unsere Beweggründe nicht immer nachvollziehen können, ist nur verständlich, denn, was sie merken ist: Ich werde daran gehindert, meine Bedürfnisse zu befriedigen, die Dinge zu tun, die mir wichtig sind (Ziele). Da entsteht jede Menge Abwehr – und wenig Raum für Verständnis!
Gegenseitiges Verständnis fördern
Kinder und Jugendliche können den Antrieb der Eltern in Bezug auf ihre erzieherischen Maßnahmen und Entscheidungen nicht vollumfänglich nachvollziehen und verstehen. In einer idealen Welt steht hinter dem Verhalten und den Entscheidungen der Eltern der Wunsch, dass es den Kindern gut geht, sie sich gesund entwickeln können, etwas fürs Leben lernen und ihre Persönlichkeit entfalten. Aber auch Eltern machen sich gelegentlich etwas vor, wenn sie meinen, dass sie immer von diesen „höheren Zielen“ geleitet werden, die ihnen von vornherein Recht zu geben scheinen. Oft wollen Eltern in ihren Kindern auch etwas verwirklichen, dass sie selbst nicht erreicht haben. Oder sie wollen sie vor etwas bewahren, das sie selbst als leidvoll erfahren haben. Sie übersehen dabei, dass ihr Kind das Recht hat, seinen eigenen Weg zu gehen und seine ganz in dividuelle Persönlichkeit und Talente zu entwickeln. Hier sollten Eltern einen Schritt zurücktreten, in sich hineinhorchen und ihr Verhalten immer wieder ehrlich und ergebnisoffen reflektieren. Nur so können sie ihr Kind so unterstützten, wie es das braucht. Und wie sie selbst es sicher auch gerne möchten.
Nehmen Sie sich Zeit…
Es lohnt sich, mit ihrem Kind ins Gespräch zu kommen.
Ein paar Dinge sollten sie allerdings beachten:
- Nehmen sie sich Zeit dafür. Gespräche unter Zeitdruck sind selten erfolgreich.
- Wählen Sie gemeinsam einen Zeitpunkt, der für Sie beide passt und zu dem Sie sich gut fühlen und entspannt sind.
- Gönnen Sie sich etwas: ein leckeres Getränkt, eine Leckerei… Was Ihnen gut tut und worüber Sie sich beide freuen!
- Machen Sie es sich gemütlich. Eine angenehme Umgebung unterstützt das Gespräch.
- Legen Sie ein paar Gesprächsregeln fest: respektvoller und wertschätzender Umgang, angemessene Sprache (keine Beschimpfungen), jeder darf aussprechen… Hier können Sie kreativ sein!
- Bringen Sie eine Prise Humor mit ein, dadurch werden auch ernstere Themen leichter. Ernste Themen dürfen auch Spaß machen!
Sehen Sie das Gespräch mit Ihrem Kind als Entdeckungsreise, von der Sie beide nur profitieren können, weil Sie Ihren Horizont erweitern und jede Menge lernen – über die Welt Ihres Kindes!
Ich wünsche Ihnen und Ihrem Kind auf ihrem gemeinsamen Weg alles Gute – vor allen Dingen Gelassenheit und Humor! Wenn Sie Unterstützung benötigen, bin ich gerne für Sie da.
Herzliche Grüße
Inga Schulz