Dieser Artikel zum Thema Selbstvertrauen ist eine Ergänzung zu Artikel 9 (Vertrauen).
Liebe Leserinnen und Leser,
nach einer kleinen Pause dieser Blog-Serie, freue ich mich, dass es nun weitergeht und ich Sie und Ihr Kind/Ihre Kinder auf diesem Wege wieder unterstützen kann, zu mehr Freude und Leichtigkeit beim Lernen zu finden.
Vertrauen und Selbstvertrauen
Bereits im letzten Artikel dieser Serie zum Thema Vertrauen habe ich auch das Selbstvertrauen angesprochen, denn beides ist untrennbar miteinander verbunden und steht in einer ständigen Wechselbeziehung. Hier möchte ich noch auf einige ergänzende Aspekte des Vertrauens eingehen und ein paar praktische Hilfen anbieten, um das Selbstvertrauen ihres Kindes – und vielleicht auch ihr eigenes – zu stärken und damit zu einer Verbesserung des Lernens beizutragen. An den Anfang möchte ich „Glaubenssätze“ stellen, die es zu fördern gilt, um in diesem Bereich mehr Stabilität zu erreichen. Um Kindern zu ermöglichen, diese Glaubenssätze zu verinnerlichen, brauchen sie entsprechende positiveErfahrungen in Beziehungen und in ihrer Lebenswelt. Dafür ist es nötig, dass Bezugspersonen alte Erziehungsstrategien loslassen und sich für Neues öffnen, so dass das Miteinander nachhaltig verändert wird.
Dadurch entsteht eine Lebenswelt für Kinder und Erwachsene, in der sich Vertrauen und Selbstvertrauen entwickeln und vertiefen können. Auch wenn sich frühe Prägungen nicht nachholen lassen (siehe Artikel 9, „Vertrauen“), so ist es trotzdem möglich, Veränderungen herbeizuführen, die das Leben und Lernen leichter machen.
Haltungen für mehr Vertrauen und Selbstvertrauen:
- Andere sind für mich da und ich „gehöre dazu“.
- Meine Wünsche und Bedürfnisse sind wichtig.
- Ich bin gut und liebenswert, so wie ich bin.
- Ich werde mit meinen Stärken UND meinen Schwächen geliebt.
- Ich darf MEIN Potential entfalten.
- Wenn ich nicht weiterweiß, ist jemand da, den ich fragen kann.
- Ich kann etwas und darf Dinge auch allein tun und meine eigenen Erfahrungen machen.
- Ich kann Lösungen finden – allein und mit anderen zusammen.
- Ich darf Dinge tun, die MIR wichtig sind und mir Spaß machen.
- Ich darf Dinge verstehen und muss sie nicht einfach übernehmen.
- Ich darf mich ohne Druck ausprobieren und auch Fehler machen.
- Verhalten meiner Bezugspersonen: Werte und Haltungen werden vorgelebt und nicht „eingetrichtert“. Wer Freundlichkeit und Mitgefühl im Verhalten seiner Kinder fördern möchte, sollte nicht dauernd feindselig und abwertend über den Kollegen oder die Nachbarin sprechen und dem Kind so die „Normalität“ eines solchen Verhaltens vorleben. Der Handygebrauch könnte hier in vielen Familien sicher auch als gutes Beispiel herangezogen werden…
Vertrauensvolle Beziehungen fördern das Selbstvertrauen
Grundsätzlich lässt sich festhalten: Führe ich vertrauensvolle Beziehungen – zu den eigenen Eltern, Großeltern Lehrern, Freunden und anderen Bezugspersonen – fördern diese Beziehungen meine positive Selbstwahrnehmung und unterstützen die Entwicklung eines stabilen Selbstvertrauens.
Vertrauensvolle Beziehungen – Was ist das?
Menschen, mit denen ich eine vertrauensvolle Beziehung führe, sind mir freundlich oder sogar liebevoll verbunden, sehen mein Potential und unterstützen mich dort, wo ich Hilfe benötige, ohne mich zu bevormunden oder mir das Gefühl zu geben, ich sei unfähig oder inkompetent. Sie sprechen mir Mut zu, wenn ich Angst habe, mich einer Herausforderung zu stellen. Gleichzeitig sind sie auch nicht von mir enttäuscht, wenn ich mich einer Aufgabe mal nicht wie erhofft stelle und somit das gesteckte Ziel nicht erreiche. Diese Menschen üben keinen Druck aus, sondern lieben und akzeptieren mich so wie ich bin. Das ist ganz entscheidend, denn viele von uns, wahrscheinlich die meisten, bekommen im Laufe ihrer Erziehung das Gefühl vermittelt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Letztendlich beginnt diese Prägung schon als Säugling, wenn die Grundbedürfnisse nach Nähe (Bindung) und Nahrung nicht erfüllt werden und ein Baby zur „Stärkung der Lungen“ einfach schreien gelassen wird. Das Baby macht die Erfahrung, dass die eigenen Bedürfnisse nicht wichtig sind, niemand da ist, dem es vertrauen kann und es somit hilflos und allein ist. Da es sich selbst in dieser Situation nicht beruhigen bzw. die eigenen Bedürfnisse befriedigen kann, macht es zusätzlich auch die Erfahrung, dass die eigenen Fähigkeiten nicht ausreichen, so dass auch das Selbstvertrauen negativ beeinflusst wird. Später passiert es immer wieder, dass Kinder ihr Wesen unterdrücken müssen, um sich den Vorgaben durch Eltern, Erzieher, Lehrer und anderen Mitmenschen in ihrer Umwelt anzupassen und ihre eigenen Bedürfnisse unterzuordnen. Die Vorgaben durch Bezugspersonen mögen auch noch so widersprüchlich sein: Kinder stellen sich – das ist das Fatale – eher selbst infrage als ihre Bezugspersonen. Das führt dazu, dass sie sich von sich selbst entfernen und ihren eigenen Empfindungen und Wahrnehmungen nicht mehr vertrauen. So entwickeln sie weder Vertrauen noch Selbstvertrauen.
In Kürze:
- Das Vertrauen in andere und die Welt und das Selbstvertrauen entstehen aus frühen Bindungserfahrungen (in den ersten 1-2 Lebensjahren) zu den wichtigsten Bezugspersonen.
- In den ersten zwei Jahren wird deshalb die Basis für Vertrauen und Selbstvertrauen im Gehirn gelegt (Netzwerke werden gebildet, es kommt zu Verschaltungen, das Gehirn lernt). Wird die Basis für bestimmte Emotionen in dieser Zeit nicht gelegt, hat dies bleibende Konsequenzen (Hormonhaushalt, Ausdruck von und Umgang mit Gefühlen).
- Die frühen Prägungen und Hirnprozesse können NICHT nachgeholt werden, aber positive Veränderungen in Richtung mehr Vertrauen und Selbstvertrauen sind trotzdem möglich.
Das können Sie tun:
- Förderliche Beziehungen gestalten (siehe oben);
- Den eigenen Erziehungsstil Anhand der „Haltungen für mehr Vertrauen und Selbstvertrauen“ hinterfragen und gegebenenfalls das eigene Verhalten ändern; Wichtig ist, dass Kinder sich bedingungslos geliebt fühlen!
- Dem Kind Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und Freude ermöglichen: Ich kann etwas bewegen! Das macht mir Spaß!
Seien Sie freundlich zu sich selbst…
Auch Sie als Eltern haben in Ihrer Kindheit wohlmöglich nicht die Möglichkeit bekommen, die oben angesprochenen positiven Glaubenssätze zu verinnerlichen und von ihnen geleitet und unterstützt durchs Leben zu gehen. Auch Ihnen fehlt vielleicht tiefes Vertrauen und Selbstvertrauen, so dass Sie immer wieder von Selbstzweifeln und gelegentlicher Orientierungslosigkeit erfasst werden. Das ist menschlich und für viele von uns alltägliche Realität, die unsere Beziehungen, auch die zu unseren Kindern, beeinflusst und prägt. Dies gilt es, sich bewusst zu machen, denn nur dann ist es möglich, Veränderungen einzuleiten und sich in eine förderliche Richtung weiterzuentwickeln – auch im Hinblick auf die Erziehung und Begleitung unserer Kinder.
Deshalb begreifen Sie die die oben angesprochenen Aspekte bitte nicht als Kritik an Ihnen oder Ihren Erziehungsmethoden, sondern als hilfreiche und unterstützende Impulse, die Ihnen und Ihrem Kind gleichermaßen dabei helfen, zu wachsen und sich im Einklang mit ihrem Wesen zu entwickeln. Nur, wenn Sie auch sich selbst mitfühlend und freundlich unterstützen, können Sie auch für andere so da sein, wie Sie es sich wünschen.
Ich wünsche Ihnen dafür alles Gute und freue mich auf Fragen, Anregungen und Wünsche.
Herzliche Grüße
Inga Schulz